Günther Mensching (Hrsg.)
Selbstbewußtsein und
Person im Mittelalter

Selbstbewußtsein und Person sind scheinbar ganz moderne Begriffe, die erst in der Neuzeit und besonders in der Gegenwart eingehend reflektiert und bestimmt wurden. Im Kontext einer Beschäftigung mit dem Mittelalter könnten sie anachronistisch erscheinen. Kants berühmte Wendung auf das Subjekt erhebt erst zum Programm der modernen Philosophie und Wissenschaft, was Descartes wenig mehr als ein Jahrhundert zuvor als fundamentum inconcussum des Erkennens und Handelns entdeckt hatte.
Sowohl die erkenntnistheoretische wie die ethische und politische Bedeutung der Begriffe Selbstbewußtsein und Person haben jedoch in Wahrheit eine lange Geschichte, auf die der gegenwärtige Gebrauch mit seinen Widersprüchen und Aporien verweist, weit hinter die Epoche der bürgerlichen Emanzipation zurück. In den Beiträgen dieses Bandes wird facettenreich und interdisziplinär gezeigt, daß das Mittelalter nicht nur die Begriffe äußerlich geprägt, sondern in spezifischen historischen Konstellationen die wesentliche Struktur des reflexiven Bewußtseins und die Dignität der Person als individueller Substanz geradezu entdeckt hat. Die Dominanz theologischer Themen in der Philosophie und die von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit fortschreitende philosophische Schärfung der theologischen Argumentation zeigen, wie sehr die Epoche überhaupt erst dadurch zur autonomen Wissenschaft und zur säkularen Ethik gekommen ist, daß sie den menschlichen Geist in seinem Verhältnis zum göttlichen reflektiert hat. Weltliche Wissenschaft und Philosophie haben theologische Voraussetzungen, die nicht allein historisch, sondern ebenso systematisch sind.
Diese in vielen Beiträgen untersuchte Dimension des Themas „Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter“ zeigt, daß die neuzeitliche Wendung zum Subjekt kein abrupter und grundloser Wechsel war. Vielmehr bringt eine lange, im Mittelalter beginnende Entwicklung zum expliziten Ausdruck, was im europäischen Denken immer schon angelegt war. Der heute proklamierte Tod des Subjekts und die Reduktion des Selbstbewußtseins auf ein neuronales Schaltschema, erweisen sich demgegen-über als widersprüchliche Parolen.

Der Herausgeber
ist Direktor des philosophischen Seminars in Hannover. Schwerpunkte: Philosophie des Mittelalters und der Aufklärung.

268 Seiten, Broschur mit Fadenheftung
Format 23,5 x 15,5 cm
Contradictio 6
noch nicht angeboten, bereits erschienen
€ 34,80 / SFr 60,90
ISBN 3-8260-3085-0

>> Bestellen k >> Zurück  >> Zurück zur Übersicht
>> Zurück